Sie trägt einen Hut, fast so groß wie ein Wagenrad, er schaut etwas seekrank und schlecht gelaunt in die Kamera: Ein altes Foto zeigt Alma und Gustav Mahler auf der Fahrt mit einem Ozeandampfer nach New York. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebte die Metropole einen ungeheuren Boom, ihre Bevölkerung hatte sich innerhalb einer Dekade auf vier Millionen Einwohner verdoppelt. In seinem Buch „Die Mahlers in New York“ sieht Joseph Horowitz, ein waschechter New Yorker, den beruflichen und gesellschaftlichen Neueinstieg des Ehepaars durch eine andere Brille als wir Europäer.
Karriereboost in der Neuen Welt
Es gibt Bücher, die legt man nach wenigen Zeilen etwas enttäuscht zur Seite und es gibt Bücher, die ziehen einen sofort in Bann. Dazu gehört mit Sicherheit „Die Mahlers in New York“ von Joseph Horowitz. Nach einem kurzen, prägnanten Vorwort widmet sich der Autor seinem Thema. In vierzehn Kapiteln, die exakt in einer Zeitachse verlaufen, reflektiert er den Aufenthalt von Alma und Gustav Mahler in New York.
Im Dezember 1907 kamen die beiden dort an. Wien hatten sie nach Konflikten mit der Intendanz der Hofoper verlassen. Von der Neuen Welt erhofften sich die Mahlers einen Karriere-Booster.
Lebendige Erzählung
Der Autor, Joseph Horowitz, war Musikkritiker der New York Times, ebenso Geschäftsführer des Brooklyn Philharmoic Orchestra und ist durch vielfältige Aktivitäten mit der Musikgeschichte der Metropole verbunden. Der Amerikaner erzählt sehr lebendig.
Er lässt das New York jener Zeit für uns auferstehen, er schmückt aus und charakterisiert die Szenen trefflich. So etwa, wenn Alma Mahler einer berühmten und einflussreichen Sängerin in der Garderobe der Metropolitan Opera ihre Aufwartung macht.
Kultur gegen Geld
Die beiden Protagonisten des Buches, Alma und Gustav Mahler, kommen in der neuen Gesellschaft ins straucheln. Das wird bei der Lektüre mehr und mehr klar. Ihre Welt ist nicht die Neue Welt sondern die alte Donaumonarchie samt Kaiser und Gefolge. Auf die New Yorker wirkt das wie die Besetzung einer Operette.
Ihre Lebensrealität ist eine ganz andere. Aufstrebertypen mit harten Bandagen regieren die Metropole. Wer Kultur machen will, braucht Geld. Auch wenn Mäzene welches locker machen, ist damit noch lange nichts gewonnen.
Krise bei den Mahlers
Zwischen 1907 und 1911 halten sich die Mahlers immer wieder in New York auf. Gustav erlebt künstlerische Niederlagen aber auch Sternstunden als Dirigent. Doch gesellschaftlich bleibt das Paar weitgehend isoliert. Auf persönlicher Ebene schlittern die Mahlers in eine tiefe Krise.
Alma hat eine leidenschaftliche Affäre mit dem Architekten Walter Gropius. Sie folgt ihm nach Paris und Gustav reist das letzte Mal alleine nach New York. Dort ist mittlerweile nicht nur die Konkurrenz sehr groß, auch das Publikum zeigt seiner Musik die kalte Schulter.
Keine Beschönigungen
Das Scheitern von Gustav Mahler an den New Yorker Gegebenheiten resümiert Horowitz deutlich und unmissverständlich. Mahler sei nicht Teil der musikalischen Gesellschaft gewesen, sondern habe sich regelmäßig nach Österreich in sein abgelegenes Komponierhäuschen zurückgezogen - umgeben von einem Stacheldrahtzaun. Seine zu sinfonischen Gebilden aufgeblasenen Volkslieder ließen die Kritiker als Wetterleuchten aus Tirol abblitzen.
Mahler wiederum hatte nichts für die amerikanische Musik übrig. Er gab ihr keine Impulse und nahm erst recht keine von ihr an. Sein taktloser Umgang mit der Presse und den eigene Musikern war stadtbekannt. Von der demokratischen Idee, mit billigen Tickets breiteren Schichten seine Musik zugänglich zu machen, hielt er überhaupt nichts. So zieht Horowitz eine gemischte Bilanz.
„Äußerst spannend"
Als Gustav Mahler am 8. April 1911 bereits todkrank New York Richtung Europa verließ, blieben in der Musikmetropole wenige Freunde, treue Fans und zahlreiche Gegner zurück. Vom verfeindeten Musikkritiker bis zur wohlhabende Witwe haben alle ihren Auftritt in „Die Mahlers in New York“.
Der schillernde Text wird aufgelockert durch Briefzitate, Kritiken und historische Fotografien. Über 283 Seiten ist Joseph Horowitz so eine äußerst spannende Erzählung und Einordnung gelungen.
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